Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
noch nie war das Thema Tibet in der Weltöffentlichkeit so präsent wie im Frühjahr 2008, selten waren das Interesse und die Anteilnahme am Schicksal der Tibeter so groß. Dies ist auch ein Resultat der Politik der Gewaltlosigkeit S.H. des Dalai Lama in den letzten 50 Jahren und seiner auf Mitgefühl beruhenden Politik des Mittleren Weges.
Richtig ist aber auch, dass die weltweite Unterstützung sich noch nicht in politischen Erfolgen niedergeschlagen hat. Die Lage in Tibet ist sehr ernst angesichts der Fakten, welche die chinesische Regierung in den letzten Jahrzehnten geschaffen hat: die massenhafte Ansiedlung von Chinesen, die wirtschaftliche Marginalisierung der Tibeter, die Kontrolle der Klöster und der Religionsausübung sowie die Verdrängung der tibetischen Sprache. Wie lange wird Tibet dem Druck noch standhalten können? Aus aktuellem Anlass ist die politische Lage auf dem Dach der Welt ein Schwerpunkt in diesem Heft.
"Peking muss seinen Kurs ändern", ist die Auffassung von Lodi Gyari, dem Sondergesandten S.H. des Dalai Lama. Er gibt eine Zusammenfassung der Ereignisse im März und April in Tibet und fordert, keine Zeit mehr zu vergeuden und das Tibetproblem endlich im Geiste der Gewaltlosigkeit zu lösen.
Lesen Sie im Interview mit Robert Thurman, warum es wichtig ist, die Hoffnung auf ein autonomes Tibet zu bewahren. Der gewaltlose Weg des Dalai Lama, so Thurman, wird zum Erfolg führen, denn er bringt Tibetern und Chinesen nur Nutzen und Wohlergehen. Thurman skizziert emphatisch seine Vision eines freien Tibet, für dessen Realisierung die chinesische Führung in Zukunft den Friedensnobelpreis bekommen sollte.
Eine kritische Haltung zur Politik der tibetischen Exilregierung nimmt der tibetische Schriftsteller Jamyang Norbu ein. In seinem provokativen Beitrag „Haltet die Revolution nicht auf!“ fordert er ein Ende der konzilianten Politik und mehr Aktionen, um Druck auf die chinesische Regierung auszuüben. Am Ende müssen die Tibeter in demokratischen Wahlen im Exil über den zukünftigen Kurs entscheiden.
Ein weiteres Schwerpunktthema in diesem Heft ist die Lehrer-Schüler-Beziehung im Buddhismus, ein Thema, das im Westen die unterschiedlichsten Reaktionen hervorruft: von Verzückung und rosaroten Projektionen bis hin zu Abneigung und kategorischem Widerstand. Oft beruhen diese unreflektierten Einstellungen auf Missverständnissen. Die Autoren klären in ihren Beiträgen viele schwierige Punkte: Wie wird eine Person zu einem persönlichen Lehrer? Wozu braucht man überhaupt geistige Führung? Was bedeutet es, den Lama als Buddha anzusehen, und wie verhält man sich, wenn man plötzlich im Alltag mit den menschlichen Seiten des Lamas konfrontiert wird? Lesen Sie die Beiträge über das Anvertrauen an den Geistigen Lehrer.
Aus diesen Beiträgen wird klar, wie fundiert auch schwierige Themen im tibetischen Buddhismus erklärt und diskutiert werden. Das zeigt, wie kostbar die tibetische Kultur ist und was in Tibet auf dem Spiel steht. Daher ist es wichtig, dass auch Buddhisten ihre Stimme für Tibet erheben und Verantwortung übernehmen. Dharma-Praxis und politisches Engagement können Hand in Hand gehen.
Mögen sich die Hoffnungen auf eine Lösung des Tibetproblems bald erfüllen!
Schwerpunkt-Themen: Tibet vor Olympia/ Die Lehrer-Schüler-Beziehung im Buddhismus