Weisheit und Methode sind die wesentlichen Elemente der Übung in allen buddhistischen Traditionen. Das buddhistische Tantra lehrt besonders ausgefeilte Techniken und Yoga-Übungen, um Weisheit und Methode zu vereinigen. In der tantrischen Meditation wird mit tiefen Schichten des Bewusstseins gearbeitet. Da diese für einen gewöhnlichen Menschen schwer zugänglich sind, gilt das Tantra als besonders schwierige und fortgeschrittene Praxis, die nur in Verbindung mit einem qualifizierten Lehrer oder einer Lehrerin geübt werden kann.
Was ist eine Initiation?
Eine Initiation ist ein Ritual, wodurch man in das Tantra eingeführt wird. In dem Ritual kann über den Meister oder die Meisterin der Segen von Körper, Rede und Geist des jeweiligen Buddhas erfahren werden. Die verschiedenen Buddhas, auch Meditationsgottheiten genannt, repräsentieren jeweils einen besonderen Aspekt des erleuchteten Bewusstseins, z.B. Mitgefühl oder Weisheit. Das Wesentliche des Rituals sind besondere Meditationen, zu denen der Meister oder die Meisterin anleitet und die später in die tägliche Praxis integriert werden.
Welche Arten von Initiationen gibt es?
Es gibt die große Einweihung mit Eintritt in das Mandala (tib. wang chen) und die sog. Segenseinweihung (tib. dsche nang).
Bei der großen Einweihung wird der Buddha im vollständigen Mandala visualisiert und meditiert. Dann führt der Meister, der sich als die Gottheit vorstellt, in dieses Mandala ein – durch Erklärungen, Meditationen und rituelle Handlungen. Dadurch erhält der Schüler die Erlaubnis, sich selbst als Buddha im Mandala zu meditieren. Diese Meditation ist das wesentliche Mittel, um selbst den Zustand des Buddha zu verwirklichen.
Durch die Einweihungen werden die Samen dafür gelegt, Körper, Rede und Geist des Buddha zu erreichen. Diese Samen werden dann durch tägliche Meditationen und Übungen zur Reife gebracht. Bevor die Einweihung gegeben wird, werden bei der großen Initiation das Bodhiasattva- und (im Höchsten Yoga-Tantra) auch das Tantra-Gelübde genommen.
Bei der Segenseinweihung erhält man den Segen des Buddha, aber nicht die Erlaubnis, sich selbst als diesen Buddha vorzustellen – es sei denn, man hat zuvor schon eine große Einweihung erhalten. Der Segen dient als Inspiration, sich mit diesen Buddha-Qualitäten vertraut zu machen, das Mantra zu sprechen und sich langsam der tantrischen Praxis anzunähern. Bei der Segensinitiation in den unteren zwei Tantraklassen wird das Bodhisattva-Gelübde genommen, aber nicht das Tantra-Gelübde.
Voraussetzungen für die tantrische Übung
Die Tibeter halten die tantrische Praxis für sehr effektiv. Sie kann, wenn Lehrer und Schüler qualifiziert sind, schnelle Fortschritte auf dem sog. Pfad ermöglichen. Da das Tantrafahrzeug ein Teil des Mahayana ist, ist eine wichtige Voraussetzung für das Nehmen einer Initiation, dass der Geist in den allgemeinen Mahayana-Tugenden wie den sog. Sechs Vollkommenheiten geschult ist: Freigebigkeit, Ethik, Geduld, Tatkraft, Konzentration und Weisheit.
Ganz zentral ist die Schulung von Liebe und Mitgefühl, denn sie sind die Basis für den Erleuchtungsgeist – das ist der Wunsch, zum Wohle der Wesen ein Buddha zu werden. Eine weitere Voraussetzung ist ein gutes Verständnis von Abhängigem Entstehen und Leerheit, auch endgültiger Erleuchtungsgeist genannt. Man sollte beide Arten des Erleuchtungsgeistes nicht nur theoretisch kennen, sondern eigene Erfahrungen mit den Qualitäten gemacht haben.
Der tibetische Meister Scherab Gyatso erklärt, dass vier Faktoren vollständig und unverfälscht vorhanden sein müssen, wenn man mittels einer Initiation in das Tantra eintreten will:
Sind diese vier Faktoren vorhanden, dann hat die Initiation die Wirkungskraft, im Geist des Schülers die Samen dafür zu legen, dass der Schüler oder die Schülerin Körper, Rede und Geist eines Buddha erlangt und damit die vollkommene Erleuchtung.
Verpflichtungen, die mit einer Initiation verbunden sind
Bodhisattva-Gelübde: Sowohl in einer großen Initiation als auch in einer Segenseinweihung wird das Bodhisattva-Gelübde gegeben. Es ist gut, wenn Interessenten sich vorher mit den Regeln vertraut machen. Das Bodhisattva-Gelübde beinhaltet die Geisteshaltung, in diesem Leben alles zu tun, was man kann, um das Wohl der Lebewesen zu bewirken, wie das Üben der Sechs Vollkommenheiten.
Man verspricht, selbst die Erleuchtung zu erlangen, um das Leiden der Lebewesen zu beenden.
Das Tantra-Gelübde wird bei Einweihungen aus dem Yoga- und Höchsten Yoga-Tantra genommen. Das Tantra-Gelübde beinhaltet Verpflichtungen und Regeln im Zusammenhang mit den Fünf Buddhafamilien, z.B. das regelmäßige Üben von Freigebigkeit, das Einhalten der Ethik, das Benutzen der tantrischen Ritualgegenstände. Damit verbunden ist auch die Rezitation des Guru-Yoga in Sechs Sitzungen, sechs Mal täglich, um diesen Verpflichtungen nachzukommen.
Dazu kommt häufig die Verpflichtung, täglich ein Sadhana zu rezitieren bzw. Meditationen in Verbindung mit dem Buddha auszuführen. Ohne diese Gelübde angenommen zu haben entsteht die Einweihung nicht.
Mit dem Nehmen des Tantra-Gelübdes entsteht eine enge Verbindung zwischen Lehrer und Schüler. In den buddhistischen Schriften wird daher empfohlen, den Lehrer zuvor auf seine Qualifikationen hin zu überprüfen.