Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
„worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man allmählich zu schweigen aufhören,“ schreibt Christa Wolf in ihrem berühmten Roman „Kindheitsmuster“, Berlin/ Weimar 1976. Das gilt sicher für das Thema Buddhismus und Sexualität, über das in der buddhistischen Tradition der Mantel des Schweigens gebreitet wird, von einigen kurz gefassten Verhaltensregeln abgesehen. Dies mag darin begründet sein, dass der Buddhismus traditionell die Domäne von Mönchen war. Im Westen jedoch sind es vor allem Laien, die den Buddhismus studieren und praktizieren. Und für sie stellt sich die Frage, wie sie Sexualität und Spiritualität in ihr Leben integrieren können.
Der Buddha selbst verließ seine Familie und suchte als Mönch im Zölibat sein Heil. Er sah die Begierde als eine negative Kraft, die unweigerlich Leiden hervorruft, insbesondere unfreiwillige Wiedergeburt. Trotzdem muss nicht jeder Schuler oder jede Schülerin des Buddha Mönch oder Nonne werden. Der Erwachte ermöglichte seinen Anhängern ein Leben als „Haushalter“, wie die Laien traditionell genannt werden, mit Partnerschaft und Familie.
Die Psychotherapeutin und langjährige Buddhistin Eva-Maria Koch weist in ihrem spannenden Artikel (ab S. 18) einen Weg jenseits zügelloser Gier und krankhafter Verdrängung. Sie beschreibt, mit welchen beinahe unerreichbaren Idealen Sexualität befrachtet ist und welche Verarbeitungsweisen im Umgang damit bestehen. Sie skizziert ein Spektrum von Möglichkeiten für buddhistische Laien, eine gesunde Sexualität zu leben – oder eine gesunde Enthaltsamkeit.
Die Tibetologin Eva Neumaier beleuchtet in ihrem Artikel (ab S. 23) die ethische Dimension, die in der dritten Regel des Laien Gelübdes anklingt, „sexuelles Fehlverhalten zu unterlassen“. Offenbar sind nahere Erklärungen dazu in den buddhistischen Schriften rar. Daraus schließt sie, dass die buddhistische Sexualmoral von der jeweiligen Kultur abgeleitet werden muss, in der sich der Buddhismus verbreitet hat. Eva Neumaier stellt ihre moderne buddhistische Sexualmoral zur Diskussion, bei der das Nicht-Verletzen und der Respekt für den Partner die wesentlichen Kriterien sind.
Wir haben mit diesem Heft einen Anfang gemacht, um uns dem Thema Sexualität und Buddhismus zu nähern. Fertige Antworten können wir nicht bieten, wohl aber die Einladung an Sie, anhand dieser Anregungen weiter nachzudenken und zu diskutieren. Wir werden in späteren Ausgaben weitere Aspekte, die im Zusammenhang mit Sexualität stehen, aufgreifen wie Partnerschaft, Liebe und Familie.
Interessanter Lesestoff erwartet Sie auch im zweiten Teil des Hefts. Oliver Petersen berichtet ab Seite 34 von seiner Tibetreise im Herbst 2007, auf der er wichtige Orte des tibetischen Buddhismus erkundet hat. Tseten Samdup erzählt die Geschichte um den 10. Marz 1959. Es ist der Tag des tibetischen Volksaufstands gegen die chinesischen Besatzer, der mit der Flucht S.H. des Dalai Lama ins Exil endete. Jedes Jahr am 10. Marz gedenken die Tibeter dieses Ereignisses und machen auf die prekäre Menschenrechtslage in Tibet heute aufmerksam.
Schwerpunkt-Themen: Pilgerreise nach Tibet / Sexualität und Buddhismus