Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
der Buddha hat vor 2500 Jahren gesehen, was heute in den traditionellen buddhistischen Ländern noch nicht zur Kenntnis genommen wird: dass Frauen und Männer das gleiche Potenzial haben, ihren Geist zu entfalten und spirituelle Verwirklichungen zu erlangen – bis hin zur Erleuchtung.
Die Einführung des Nonnenordens durch den Buddha war für die damalige Gesellschaft revolutionär, räumte sie doch den Frauen das Recht ein, ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der Ehe und Familie zu fuhren. Kein Wunder, dass der Erleuchtete gezögert hat und erst auf Drangen seines Schulers Ananda der Gründung des Nonnenordens zustimmte.
Wir beschäftigen uns in dieser Ausgabe mit den buddhistischen Nonnen, die in den asiatischen Ländern leider immer noch ein Schattendasein fuhren. Die Mönche sind es, die an der Spitze der Gesellschaft stehen, die über den Zugang zu Ausbildung und materiellen Ressourcen sowie über gesellschaftlichen Einfluss verfugen. Männer, allen voran voll ordinierte Mönche sind es, welche das Privileg haben, die buddhistische Lehre weiterzugeben. Weder in den Theravada-Ländern noch in Tibet gibt es vollordinierte Nonnen (Bhikunis).
Erst seit der Buddhismus in den Westen kommt und sich in Gesellschaften etabliert, welche die Chancengleichheit als einen wesentlichen Wert ansehen, kommt Bewegung in die Frauenfrage im Buddhismus. Karma Lekshe Tsomo schildert in ihrem Bericht, wie buddhistische Nonnen in den verschiedenen Ländern der Erde an ihrer Gleichstellung arbeiten. Bildung heißt der Schlüssel dazu: Je mehr Bildung, um so mehr Möglichkeiten haben die Frauen, eine ihrer Anzahl entsprechende Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
Welche Widerstände und Schwierigkeiten es in der Einführung der Bhikuni-Ordination in der tibetischen Tradition gibt, schildert Carola Roloff in ihrem Beitrag. Selbst seit über 25 Jahren ordiniert, setzt sie sich unermüdlich für die Gleichberechtigung der Nonnen ein. Rückenwind erhalt die 47-Jahrige von S.H. dem Dalai Lama: Er beauftragte sie im August 2005 gemeinsam mit anderen westlichen Bhikunis die Wiedereinführung der vollen Ordination für Frauen auf internationaler Ebene voranzutreiben. Offenbar traut das tibetische Oberhaupt den westlichen Frauen eine Menge zu und setzt großes Vertrauen in sie.
„Frauen unterstützen Frauen nicht genug” ist eine Kernaussage der amerikanischen Nonne Thubten Chodron. Sie ist seit 1977 ordiniert und eine der wenigen bekannten Buddhismus-Lehrerinnen. In dem Interview berichtet sie von Ruckschlagen, aber auch von ihrem freudigen Bemühen, in den USA eine klösterliche Gemeinschaft auf der Basis von Gleichberechtigung aufzubauen.
Die Wiedereinführung der Nonnenordination wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung der Frauen weltweit. Wenn diese Ordination, die der Buddha selbst etablierte, in Asien wieder eingeführt wird, verändert es die Stellung aller Frauen dort. Denn es sind noch immer die Religionen, welche hier die gesellschaftlichen Leitbilder prägen. Es wird dann nur eine Frage der Zeit sein, wann Frauen insgesamt eine bessere Ausbildung genießen und selbst die Rolle von Lehrerinnen und Priesterinnen übernehmen. Der Westen konnte hier ausnahmsweise einen positiven Einfluss geltend machen und seine Errungenschaften wie die Gleichberechtigung und Chancengleichheit im Kontakt mit dem Buddhismus weitergeben.
Die Entwicklung im Westen hat gezeigt: Es nutzt der ganzen Gesellschaft, wenn Männer und Frauen gleichgestellt sind, wenn jeder Mensch sein Potenzial entfalten und zum Wohle der anderen einsetzen kann. Hoffen wir, dass es viele mutige Frauen wie die voll ordinierten westlichen Nonnen und viele fortschrittliche Männer wie Ananda und den Dalai Lama gibt, die sich für die Rechte der Frauen weltweit engagieren. Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen
Schwerpunkt-Thema: Buddhistische Nonnen im 21. Jahrhundert