Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
„wenn ich mit Buddhismus-Interessierten über das Thema Entsagung spreche, laufen sie weg,“ diese Erfahrung machen nicht wenige buddhistische Lehrer im Westen. Entsagung, Enthaltsamkeit, Askese – das scheint so gar nicht in die Welt von aufgeklärtem Denken, Wohlstand, Konsum und Bequemlichkeit zu passen. Viele Menschen im Westen verbinden mit dem Wort Entsagung Trübseligkeit, Verzicht und Selbstkasteiung. Doch manchen ist die tiefere Bedeutung der Haltung der Entsagung nicht bewusst. Daher wollen wir das Thema in diesem Heft näher beleuchten.
S.H. der Dalai Lama erläutert in seiner wunderbar kompakten Unterweisung, was im Buddhismus genau unter Entsagung zu verstehen ist: das Streben nach dauerhaftem Glück, also nach einem viel besseren Zustand als dem jetzigen, der geprägt ist von Instabilität, Vergänglichkeit und Leiden aller Art. Für den Dalai Lama ist das Besondere an der buddhistischen Religion, dass sie einen Pfad zu echtem Glück lehrt. Und dieser Pfad, der vor allem die Einsicht in die endgültige Natur der Dinge einschließt, steht jedem offen.
Geshe Lobsang Palden gibt in dem Interview „Wir haben eine reelle Chance auf Heilung“ zu bedenken, dass Entsagung zwei Aspekte hat: eine pessimistische, da sich die Buddhisten schonungslos mit dem Leiden konfrontieren, und eine optimistische, da sie das Glück der Befreiung stets vor Augen haben. Geshe Lobsang Palden gibt wertvolle Ratschläge, wie Buddhisten, die in Beruf und Familie leben, einen mittleren Weg zwischen strenger Askese und dem Hängen an weltlichen Freuden einschlagen können.
„Entsagung macht reich“ ist die feste Überzeugung von Wolfgang Krohn, dem Vorsitzenden der Buddhistischen Gesellschaft in Hamburg. Krohn, der bereits Anfang der 70er Jahre zum Buddhismus kam, lebte zu Beginn seiner Praxis ein Jahr zurückgezogen in der Waldeinsamkeit und gewann in dieser Zeit tiefe Einsichten in die Buddha-Lehre. Für ihn ist Entsagung Ausdruck von Tugenden wie Gewaltlosigkeit und Mitgefühl: „Das, worauf ich verzichte, kommt anderen zugute und ist kein Objekt für Streit und Konflikt“, so der überzeugte Theravada-Praktizierende. Lesen Sie das spannende Portrait auf Seite 20 und 21.
Der „Standpunkt“ dieser Ausgabe befasst sich mit der Sozialpolitik in Deutschland. Leider gibt es nur wenige buddhistische Gelehrte, die zu wichtigen aktuellen Gesellschaftsthemen Stellung nehmen. Karl-Heinz Brodbeck, Professor für Wirtschaft und langjähriger Buddhist, hatte den Mut, aus den Buddha-Lehren einen Standpunkt abzuleiten und zu entwickeln. Seine These: Was „Reform“ genannt wird und beispielsweise als Hartz IV daher kommt, sei die getarnte Geldgier und genau das Gegenteil von Reform. Gern würden wir in den nächsten Ausgaben diese Diskussion vertiefen und Meinungen dazu veröffentlichen. Bitte schreiben Sie uns!
In eigener Sache möchten wir Sie noch einmal auf die Avalokiteshvara-Zeremonien aufmerksam machen, die im Oktober im Meditationshaus Semkye Ling stattfinden werden. Lesen Sie dazu auch ein Grußwort von Geshe Ngawang Sonam (S. 40), in dem er die Bedeutung des Mitgefühls gerade in der heutigen Zeit hervorhebt. Da für diese außergewöhnliche Veranstaltung ein beheiztes Zelt aufgestellt werden soll, bitten wir Sie, sich bald anzumelden.
Schwerpunkt-Themen: Entsagung - das Streben nach echtem Glück