Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
Gesellschaft ist Gute“, sagte der Dalai Lama einmal. Dies ist eine ungewöhnliche Behauptung. Viele wurden wohl zustimmen, dass Gesellschaft von Gute abhängt. Wenn Gesellschaft Gute ist, kann es ohne Fürsorge und Interesse am Wohlergehen der anderen überhaupt keine Gesellschaft geben. Wenn jeder nur seine eigenen Interessen verfolgt, ohne Rucksicht auf andere, verbietet es sich gar, von Gemeinschaft zu sprechen – dies impliziert die Aussage des Dalai Lama.
Der Gedanke ist gerade in Zeiten der Globalisierung hoch aktuell, wo Wirtschaftskonzerne, die primar an ihrem eigenen Gewinn interessiert sind, den Ton in der Gesellschaft angeben und Politik sich zusehends aus wichtigen Bereichen, die das Gemeinwohl betreffen, zurückzieht. Wir gehen in diesem Heft dem Verhältnis von Politik und Religion nach und fragen, ob sich religiöse Menschen in die Politik einmischen sollten.
Oliver Petersen beleuchtet, welche Verbindungen Staat und Religion in der Vergangenheit eingegangen sind und wie sich unterschiedliche Vorstellungen in Ost und West darstellen. Der Autor plädiert für die Trennung von Staat und Religion, fordert aber gleichzeitig von religiösen Menschen, sich in die Politik einzumischen, um die Gesellschaft humaner zu gestalten.
Der grosse indische Meister Nagarjuna hat ein Kapitel seiner Schrift „Kostbarer Kranz“ der Politik gewidmet. Wir haben einige seiner Verse ins Deutsche übersetzt. Lesen Sie in „Ratschlage, ein Land mitfühlend zu regieren“, wie eine von buddhistischen Werten beeinflusste Politik aussehen konnte. S.H. der Dalai Lama stutzt sich, wie sonst kaum jemand, in seiner Politik auf buddhistische Tugenden wie Gewaltlosigkeit. Carola Roloff erläutert, wie tief seine Friedensphilosophie im Buddhismus wurzelt.
„Nur wer selbst gewaltlos ist, kann gewaltlose Politik machen,“ ist eine Kernaussage von Professor Samdhong Rinpoche, Mönch und Premierminister der tibetischen Exilregierung. In dem spannenden Interview fordert er, dass Politiker sich in Gewaltlosigkeit schulen, bevor sie die Macht übernehmen. Samdhong Rinpoche äußert sich auch zu dem Problem des Terrorismus: „Wer auf Gewalt mit Gewalt antwortet, fordert die Gewalt – das lesen wir in den buddhistischen Schriften. Wenn es brennt, dann löscht man das Feuer nicht damit, dass man noch mehr Brennstoff hinzu gibt. Das richtige Gegenmittel wäre Wasser oder ein bestimmtes Gas. Wer die terroristische Gewalt besiegen will, braucht Gewaltlosigkeit. Wenn wir diese Kraft entwickeln, wird die Gewalt natürlicherweise abnehmen – sowohl in uns selbst als auch in der Gesellschaft.“
Noch ein Wort zur Entwicklung des Tibetischen Zentrums. Die Mitgliederversammlung am 18. Juni 2005 hat mit grosser Mehrheit eine neue, moderne Satzung verabschiedet. Die Neuerungen schildert der scheidende Prasident, Michael Arpe, in seinem Beitrag fur die Rubrik „Internes“. Eine wichtige Neuerung ist die Grundung des „Dharmarates“, der über spirituelle Fragen im Tibetischen Zentrum entscheidet. In diesem Gremium sind neben Geshe Ngawang Sonam und Geshe Pema Samten alle wichtigen Bereiche des Tibetischen Zentrums vertreten: Mitglieder, Ordinierte, Tutoren und Mitarbeiter.
Die Idee eines runden Tisches im Tibetischen Zentrum geht auf die Audienz mit S.H. Dalai Lama nach dem Tod Geshe Thubten Ngawangs zurück. Seine Heiligkeit hatte die Empfehlung gegeben, das Zentrum so zu gestalten, dass es in seiner Struktur weniger von einzelnen Personen abhängig ist. Die neue Satzung soll dies gewährleisten. Wir hoffen, damit eine stabile, tragfähige organisatorische und materielle Grundlage zu haben, die für die Vermittlung des Dharma im Westen notig ist.
Schwerpunkt-Thema: Sprache und Kommunikation