Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
die stille Jahreszeit ist eine gute Gelegenheit, sich einem Thema zuzuwenden, das wir im Frühling und Sommer nur allzu gern links liegen lassen: Tod und Trauer. Von allen Fußspuren, so sagte der Buddha, ist die des Elefanten die größte; von allen Meditationen ist die über die Vergänglichkeit die wirksamste. Wir möchten Ihnen mit dem Schwerpunktthema dieses Heftes zeigen, wie die Auseinandersetzung mit Tod und Verlusten spirituelle Kräfte wecken kann und welches Heilungspotenzial im Prozess der bewussten Trauer liegt.
Wenn wir alles, was uns im täglichen Leben begegnet, als vergänglich erkennen, erfahren wir großen Segen, so Geshe Thubten Ngawang in seiner kurzen Unterweisung. Wir müssen nicht warten, bis uns ein schlimmes Schicksal ereilt, um uns die flüchtige Natur der Dinge vor Augen zu führen.
Dass nicht nur die Zeit alle Wunden heilt, sondern vor allem auch die Achtsamkeit, zeigt Lisa Freund, die seit vielen Jahren in der Hospizbewegung aktiv ist. Sie schildert die wichtigsten Aspekte der Trauer: Trauer als Grunderfahrung der menschlichen Existenz sowie buddhistische Methoden, mit Verlusten umzugehen. Aus ihrem einfühlsamen Bericht wird auch klar: Der Weg zur Heilung führt mitten durch die Trauer hindurch und nicht an ihr vorbei.
Geshe Tenpa Choepel beantwortet im Gespräch mit Christine Rackuff Fragen über Tod, Trauer, Bestattung und Reliquien aus traditioneller buddhistischer Sicht: Er ermuntert uns, die Trauer für die Dharmapraxis zu nutzen und gibt Ratschläge für den Umgang mit Sterbenden.
Die bewegende Reportage „Praktizierende an der Schwelle des Todes“ präsentiert zwei Menschen und ihre Erfahrungen mit einer schweren, lebensbedrohlichen Krankheit. Die Berichte sind auch ein eindrucksvolles Beispiel für die Wirksamkeit der buddhistischen Praxis.
Weiter beschäftigen wir uns in diesem Heft mit dem Thema Tulkus. Das Tulkusystem entstand im 13. Jahrhundert in Tibet, wo es bis auf den heutigen Tag eine große Rolle in der Bewahrung des Buddhismus spielt. Lesen Sie in dem Beitrag von Dr. Egbert Asshauer, wie das Tulkusystem entstanden ist und sich über die Jahre entwickelt hat. Ein besonders beeindruckendes Beispiel für einen echten Tulku hat Carola Roloff aufbereitet: die Lebensgeschichte von Kyabje Ling Rinpoche, einem der beiden Tutoren S.H. des Dalai Lama.
Besonders ans Herz legen möchte ich Ihnen den „Standpunkt“ dieser Ausgabe zum Thema Mediation und buddhistische Konfliktlösung. Eines der Synonyme für Samsara ist „mit Konflikten behaftet“. Kein Wunder, dass wir alle immer wieder Auseinandersetzungen erleben. Das an sich ist noch nicht so schlimm. Wie aber verhalten wir uns im Konfliktfall? Als Buddhisten haben wir eine besondere Verantwortung, Konflikte friedlich zu lösen, vor allem in unserer eigenen Gemeinschaft. Ein neu erschienenes Buch, das Franz-Johannes Litsch in seinem Standpunkt vorstellt, kann dazu ein unschätzbarer Wegweiser sein.
Beim Thema Trauer denken wir im Tibetischen Zentrum besonders auch an unseren im Januar verstorbenen Geistlichen Leiter, Geshe Thubten Ngawang. Einen Stýpa im Gedenken an ihn auf dem Gelände des Meditationshauses zu errichten, ist zurzeit ein Hauptanliegen des Tibetischen Zentrums. Lesen Sie dazu den Beitrag auf Seite 46 über die Vorbereitungen. Der Stýpa wird die Schülerinnen und Schüler Geshe Thubten Ngawangs nicht nur an die Tugenden des Buddha erinnern, sondern auch an das, was wir Geshe-la verdanken: die Möglichkeiten, die wir mit dem Zentrum im Dharma haben, um glücklicher zu leben und auch anderen mehr Glück zu bereiten.
Schwerpunkt-Thema: Tod & Vergänglichkeit