Editorial von Birgit Stratmann
LIEBE LESERINNEN UND LESER,
unser verehrter Lehrer Geshe Thubten Ngwang bat mich, Sie sehr herzlich zu grüßen. Er lebt zur Zeit überwiegend im Meditationshaus Semkye Ling, um sich im Frühlingszauber von Krankheit und Dauerstreß zu erholen. Eigentlich hatte Geshe Thubten Ngawang geplant, dieses Jahr in seine Heimat nach Tibet zu reisen. Sein Visumsantrag wurde jedoch vom chinesischen Generalkonsul in Hamburg abgelehnt. Ein freundliches Schreiben an den chinesischen Botschafter in Berlin mit der Bitte um die Einreise nach Tibet blieb unbeantwortet.
Von Anfang März bis Ende Mai war auch der Ehrwürdige Kensur Geshe Ugyen Rinpoche zu Gast in Semkye Ling. Er absolvierte dort eine längere Klausur mit abschließender Feuerpuja, was bestimmt sehr segensreich für den Ort ist. Kensur Rinpoche wird Anfang August wieder zu uns kommen.
Diese Ausgabe von Tibet und Buddhismus widmet sich zu einem großen Teil der Vajrasattva-Praxis. Sie ist eine tantrische Praxis und Teil der Vorbereitenden Übungen. Sie dient vor allem zur Reinigung von unheilsamen Handlungen und negativen Eindrücken im Geist. Es gibt keine negative Tat, so hören wir von den Meistern, die durch die kraftvolle Vajrasattva-Praxis nicht bereinigt werden könnte. Lesen Sie die Erklärungen dazu von Geshe Thubten Ngawang. Zum ersten Mal in der Geschichte dieser Zeitschrift haben wir Berichte über Meditationserfahrungen. Unsere freie Mitarbeiterin Lelani Dias befragte drei Buddhistinnen, die schon einmal eine dreimonatige Vajrasattva- Klausur durchgeführt haben. Die Zeugnisse ihrer erfahrungsreichen Zeit sind beeindruckend und lesenswert.
Über Meditationserfahrungen wird selten berichtet. Manche Praktizierende sprechen gar nicht über ihre inneren Erlebnisse in längeren Klausuren. Andererseits ist nichts so inspirierend für die eigene Praxis wie die Schilderung von spirituellen Erfahrungen anderer spiritueller Freunde. Wir sind dankbar, daß die drei Schülerinnen von Geshe Thubten Ngawang einige ihrer Erlebnisse mit uns teilen. Beim Lesen sollten wir uns allerdings bewußt sein, daß es individuelle Erfahrungen sind, die sie in ihrer jeweiligen Situation gemacht haben. Die Erfahrungen lassen sich nicht übertragen; wir brauchen sie weder zu fürchten noch müssen wir ihnen hinterherlaufen.
„Der buddhistische Standpunkt“, mit dem wir im letzten Heft begonnen haben, beschäftigt sich dieses Mal mit der Gentechnik. Wir veröffentlichen eine Erklärung der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) und begrüßen, daß sie dazu eine Position erarbeitet hat. Die Biotechnologie erlebt zur Zeit einen so rasanten Aufschwung, daß kaum Zeit zu sein scheint, über die ethischen Rahmenbedingungen zu diskutieren. Konzerne und Wissenschaftler schaffen Fakten, die Gesellschaft hinkt mit ihrem Diskurs hinterher. Der Embryonenschutz, der 1990 im Grundgesetz verankert wurde, ist in Gefahr. Beim therapeutischen Klonen werden die Stammzellen künstlich erzeugter Embryonen benutzt, um Krankheiten zu heilen; die Embryonen werden getötet. Im Falle der Zeugung außerhalb des Mutterleibs wird durch Prä-Implantationsdiagnostik selektiert, welcher Embryo der Mutter implantiert wird und welcher nicht. Noch sind diese Verfahren in Deutschland verboten.
Aus buddhistischer Sicht beginnt das menschlichen Leben, sobald Ei und Samen zusammenkommen und ein Wesen aus dem Zwischenzustand in dieser Verbindung eintritt. Das Töten eines Embryos ist aus buddhistischer Sicht das Töten eines Menschen – egal ob es im Namen der Freiheit der Forschung, der Interessen der Industrie oder „des Rechts auf Wohlstand und Arbeitsplätze“ (Bundeskanzler Gerhard Schröder) geschieht. Als Buddhisten lehnen wir dies ab und hoffen, daß sich die Einsicht, daß das Nicht-Verletzen der Weg zum Glück ist, doch noch Bahn brechen wird. Wenn Sie mögen, schreiben Sie uns in Leserbriefen, was Sie über die neuesten Entwicklungen in der Gentechnik denken und was wir tun können, um Einfluß auf die Entscheidungsträger zu nehmen.
Schwerpunkt-Thema: Vajrasattva-Praxis