Editorial von Birgit Stratmann
LIEBE LESERINNEN UND LESER
Geshe Thubten Ngawang, der Sie normalerweise an dieser Stelle begrüßt, bat mich, das Editorial für ihn zu schreiben. Unser verehrter Lehrer mußte aufgrund eines unregelmäßigen Blutdrucks einige Tage vor seinem 70. Geburtstag am 10. März zur Einstellung ins Krankenhaus. Geshe Thubten Ngawang leistet mehr, als die meisten von uns sich überhaupt vorstellen können. Schon seit 22 Jahren steht er ununterbrochen tagaus tagein seinen Schülern zur Verfügung. „Ferien gibt es im Samsara nicht“, sagte er einmal. Während andere in seinem Alter schon lange in Pension sind, bewältigt er die vielfältigen Aufgaben nicht nur in der Vermittlung des Dharma, sondern auch in weltlichen Angelegenheiten des Vereins, im Dialog mit anderen Religionsvertretern und Wissenschaftlern und nicht selten auch als Seelsorger für die vielen Menschen, die immer wieder seinen Rat suchen. Hier sind nur einige seiner Tätigkeiten genannt. Sein Pensum ist viel zu umfangreich. Deshalb nahm Geshe Thubten Ngawang seine Krankheit zum Anlaß, ab sofort weniger zu machen. Er wird sich allmählich aus weltlichen Entscheidungsprozessen weitgehend zurückziehen und vorrangig das tun, wozu er eigentlich hergekommen ist: aus seinem reichen Erfahrungsschatz den Dharma vermitteln. Dies entspricht auch dem Wunsch seiner Schüler, denen es das wichtigste ist, möglichst lange von ihm spirituelle Anleitung und Unterweisungen zu bekommen.
Was die Gemüter im Tibetischen Zentrum zur Zeit auch noch bewegt, ist die Frage, ob wir das Meditationshaus erwerben und damit für unsere Praxis erhalten können oder nicht. Lesen Sie dazu bitte den Artikel am Anfang dieses Heftes. In dieser Ausgabe von Tibet und Buddhismus befassen wir uns schwerpunktmäßig mit Tradition. Ein altertümliches Thema für die einen, ein bedeutendes Thema für die anderen, denn wie könnte es die Möglichkeit zur Dharma-Praxis geben, wenn diese nicht von Lehrern auf die Schüler tradiert wird? Ohne eine lebendige Tradition gibt es keinen Dharma. Lesen Sie dazu das Interview mit Geshe Thubten Ngawang. Vertrauen in die eigene Tradition ist gut, Wertschätzung für andere Traditionen ist unerläßlich, um Sektierertum zu vermeiden, wie aus dem Interview mit Alfred Weil, dem Sprecher der Deutschen Buddhistischen Union, deutlich wird.
Unsere Serie zu den Vorbereitenden Übungen, die wir in diesem Heft mit der Ma¶ðala-Darbringung fortsetzen, findet großen Anklang. Darüber freuen wir uns. Über die letzten Monate sind Briefe mit zahlreichen Fragen eingetroffen. Wir möchten diejenigen bitten, die sich für die Vorbereitenden Übungen interessieren, zunächst die Artikel in dieser Zeitschrift aufmerksam zu lesen. Falls Sie es einrichten können, wäre es von Vorteil, ein kurzes Seminar dazu in unserem Meditationshaus zu belegen. Neu im Programm ist ein Kurs vom 28.11. bis 4.12. 2001 zu den Vorbereitenden Übungen, angeleitet von der Nonne Soenam Tschoekyi.
Ein Novum in dieser Nummer ist die Rubrik „Ein buddhistischer Standpunkt“. Wir wollen hier von Zeit zu Zeit zu aktuellen Themen Stellung nehmen und sie aus buddhistischer Perspektive beleuchten. In diesem Heft beschäftigen wir uns trotz BSE-Krise und Maul- und Klausenseuche nicht mit dem Thema Massentierhaltung, sondern mit dem Klimawandel. Der Grund ist, daß die zunehmende Erwärmung der Erde immer noch das drängendste ökologische Problem ist, auch wenn es in den Medien nicht die gebührende Aufmerksamkeit erfährt. Wie im März 2001 aus einem Bericht von 900 renommierten Klimawissenschaftlern bekannt wurde, schreitet der Klimawandel noch dramatischer voran, als bisher angenommen. Alle Bewohner der Erde werden betroffen sein, aber auch zukünftige Generationen, denen wir den Klimakollaps sozusagen als Erbschaft überlassen. Wir müssen uns fragen, was wir als Buddhisten tun können, um das Klima zu schonen.
Wir würden uns freuen, wenn Sie uns Leserbriefe schreiben, in denen Sie, angeregt durch den „Standpunkt“, der natürlich nur einer unter vielen möglichen ist, Ihre Sicht der Dinge darlegen. Sie können uns natürlich auch zu anderen Themen Ihre Meinung sagen. Ab dem nächsten Heft möchten wir regelmäßig Leserbriefe veröffentlichen. Bitte schreiben Sie kurz und knapp, damit möglichst viele Leser Gehör finden können.
Schwerpunkt-Thema: Tradition